Dieser Mann bereitete Syndra Kopfzerbrechen. Welche Macht verbarg diese Schattentechnik überhaupt, die sich Zed angeeignet hatte. Welche Trümpfe hatte er im Ärmel? Sie wusste nichts über ihn - und er anscheinend ziemlich viel über sie.
Träge ließ sie sich auf eine flache Stelle im Wasser sinken. Obwohl sie viele Stunden geschlafen hatte, war sie inzwischen unglaublich müde geworden. Beim Nachdenken war sie zu keinem Schluss gekommen. Stattdessen hatten sich ihr nur zahlreiche andere, unbeantwortete Fragen aufgeworfen. All ihre Bemühungen, zu verstehen, hatten keine Früchte getragen. Ein wirklich unbefriedigendes Gefühl.
Zed, Herr der Schatten.
Er war ihr ein Mysterium für sich.
Gedämpft hörte sie Zeds Befehl, der sie vollends aus ihrer Gedankenwelt löste. Sie hatte ihn nicht bemerkt, obwohl sie sich genau an die Präsenz seiner starken Aura erinnerte. Mehr als eine dumpfe, schemenhafte Wahrnehmung derer war ihr nicht geblieben. Und das lag beileibe nicht daran, dass sie sich zu tief in die Entspannung hatte hinabsinken lassen.
Aber auch er schien noch nicht bemerkt zu haben, dass sie noch hier war. Zumindest tat er so. Auf diese Distanz hin jedenfalls konnte sie nicht viel erkennen. Nicht einmal, ob er auch hier seine Maske trug. Doch im Gegensatz zu Syndra, die mit ihrer blassen, fast weißen Haut und ihrem silbrig weißen Haarschopf nahezu mit den Dunstwolken verschmolz, war Zeds Silhouette gut zu erkenne.
Ihre Neugierde nahm Überhand. Ein Weilchen beobachtete sie ihn. Doch mehr, als still herumzustehen schien er nicht zu tun. Scham war ein Gefühl, das ihr im Wesentlichen unbekannt war. So regte sie sich irgendwann und erhob sich, wodurch sie das Wasser bewusst in Bewegung setzte. Spätestens jetzt musste er sie auch bemerkt haben.
"Ihr auch hier, Zed? Also wirklich, einer Dame einfach im Bad aufzulauern...", spielte sie ihm Überraschung und Empörung zugleich vor.
"Sagt mir, Zed: Badet Ihr sonst immer allein?" Als Kind hatte man ihr erklärt, gemeinsame Bäder stärken den Zusammenhalt und das Band des Vertrauens. Menschen empfanden wohl so, auch wenn Syndra es sich nur schwer vorstellen konnte. Sie wollte mehr über diesen Mann wissen. Verstehen, wie er pflegte zu denken. Nachzuvollziehen, wie jemand mit einer ähnlichen Vergangnehit wie der ihren umging.
Mit dem Unterschied, dass er nie begonnen hatte, sich von den Menschen zu distanzieren.
Seine Ninja verehrten diesen Mann geradezu. Lag es an seiner Macht? Aber allein deswegen konnte er nicht so viele Menschen an sich gebunden haben. War er ihnen wohl ein guter Anführer? Lebten sie hier ein besseres Leben, als sie es früher getan hatte? Wieder begann sie damit, mehr und mehr Fragen zu entwickeln.
Die Silberhaarige wollte mehr wissen. Sie wollte ihren Wissensdurst stillen. Es versetzte sie einfach in eine tiefe Unruhe, nicht zu verstehen. Rational gesprochen war sie scharfsinnig. Genial. Aber ihre Menschlichkeit war ihr in all den Jahren der Isolation abhanden gekommen.
Es hatte sie aber nie gestört.
Sie kam gut damit zurecht, allein zu sein. Unabhängig, auf niemanden angewiesen. Sehnsucht danach, andere, denkende Wesen an ihrem Leben teilhaben zu lassen, hatte sie nie empfunden. Stattdessen verband sie diesen Gedanken mit Verrat. Hinterlistiger Täuschung. Bisher war sie nur ausgenutzt worden - oder eben hintergangen.
Sie war immer gut allein zurecht gekommen.
Doch nur ein Brief, eine Einladung und eine Mahlzeit mit unerwünschtem Ende hatten sie dazu bewegt, diese Einstellung über den Haufen zu werfen.
Warum?
Sie verstand es doch selbst nicht. Hatte das wirklich nur an der Überredenskunst des Ninja gelegen? Aber ohne sie selbst erlebt zu haben, hatte sie sich umgehend aufgemacht, um seiner Einladung zu folgen. Sie hatte nicht vergessen, was sie ihr Leben lang gelehrt wurde. Die seelischen Narben, die - wie sie glaubte - nie zu verheilen vermochten. Sie würden auf ewig schmerzen, bluten und immer weiter aufreißen.
Um jetzt hatte sie Zed geradezu angeboten, der Nächste zu sein, ihrer Seele eine tiefe Wunde zuzufügen.
Es lag auf der Hand: Sie war nicht in Balance. Weder ihre Seele, noch ihr Geist.
"Erzählt mir von Euch." Das wollte sie sagen, schaffte es aber nicht, diese Worte zu bilden.
Er würde ihr doch sowieso nichts sagen. Wie naiv hätte sie sein müssen, um das zu glauben? Was ging es sie auch an?
Nur zu einer Frage, die mit ein oder zwei Worten zu beantworten war, hatte sie es geschafft.
Sie waren nur Verbündete im Krieg gegen Ionia. Nicht mehr und auch nicht weniger.
Doch sah man ihr jetzt tief in die Spiegel ihrer Seele, so war es ein Leichtes, diese Sehnsucht auszumachen.
Unbewusst hatte Zed sie in einen tiefen Zwist mit sich selbst gestoßen.